Literatur von der Kanzel

Veröffentlicht: Montag, 11. Februar 2019 Geschrieben von Detlef Lang

Auftritt von Kritiker Denis Scheck in der Literaturtankstelle

VON GUDRUN PORATH

Bestsellerlisten sind ein semantisches Missverständnis: Literaturkritiker Denis Scheck (links), hier mit Ralf Jasper vom Literatur- und Kunstkreis, warnte davor, Bestseller mit einem guten Buch gleichzusetzen. Dabei handele es sich vielmehr um die am häufigsten verkauften Bücher. Alle vorgestellten Bücher des Abends präsentierte Monika Volle auf einem Extra-Büchertisch. FOTO: GUDRUN PORATH
Bestsellerlisten sind ein semantisches Missverständnis: Literaturkritiker Denis Scheck (links), hier mit Ralf Jasper vom Literatur- und Kunstkreis, warnte davor, Bestseller mit einem guten Buch gleichzusetzen. Dabei handele es sich vielmehr um die am häufigsten verkauften Bücher. Alle vorgestellten Bücher des Abends präsentierte Monika Volle auf einem Extra-Büchertisch. FOTO: GUDRUN PORATH

Sohlingen – An diesem Abend predigte kein Pastor von der Kanzel, sondern ein Literaturkritiker. Mit Denis Scheck hatte der Literatur- und Kunstkreis Uslar Deutschlands wohl aktuell bekanntesten und bedeutendsten Kritiker in die voll besetzte „Literaturtankstelle“, die Sohlinger Kapelle, geholt.

Wenn ein Literaturkritiker zu Gast ist, geht es um mehr als ein Buch oder eine Gattung der Literatur. Es geht um den Zugang zum Lesen, um verschiedene Autoren und ihre Werke, um Orientierung im großen Büchermarkt, um Klatsch und Tratsch aus der Literaturszene und um den Dialog mit dem Leser.

So jedenfalls hatte sich Denis Scheck den Abend vorgestellt und so setzt er seinen Auftritt vor dem gespannt lauschenden Publikum auch um.

Ein wichtiger Zugang zum Lesen sei Eskapismus, der Wunsch, mental aus der eigenen engen Welt zu entfliehen. So sei es bei ihm gewesen, schildert Scheck, als seine Eltern mit ihm auf die schwäbische Alb in ein Dorf mit gerade mal 220 Einwohnern und einer zwei Kilometer entfernten Bushaltestelle gezogen waren.

Bestseller sind Massengeschmack

Redegewandt erklärt der heute in Köln lebende Schwabe, dass irrt, wer eine Bestsellerliste oder einen Literaturpreis als Anhaltspunkt für ein gutes Buch nimmt. Bei Bestsellerlisten gehe es lediglich um die am meisten verkauften Bücher und damit den „kleinsten gemeinsamen Nenner des Massengeschmacks“, meinte Scheck.

Wenn ein Buch den Titel „Bestseller“ trage, sei dies daher eher als Warnhinweis zu verstehen. Bei allein 700 Literaturpreisen in Deutschland falle ein solcher als alleiniges Gütesiegel für gute Bücher ebenfalls aus. Gute Bücher seien vielmehr solche, die helfen, den eigenen Horizont zu erweitern und im Leben Dinge wahrzunehmen, auf die man sonst nicht aufmerksam geworden wäre.

Scheck empfiehlt nicht nur Romane, wie zum Beispiel „Portnoys Beschwerden“ oder die sogenannte „Amerikanische Trilogie“ des vor nicht allzu langer Zeit verstorbenen US-Autors Philip Roth und Essay-Bände wie „Der Spaß an der Sache“ von David Foster Wallace, sondern auch Lyrik.

Diese sei die ursprünglichste Form der Literatur, historisch gesehen und im eigenen Leben, denn fast jeder erinnere sich an Reime aus seiner Kindheit. Mitgebracht hatte er „Poem“, einen Gedichtband von Eugen Gomringer, der als Erfinder der konkreten Poesie gilt.

Nach anderthalb Stunden auf der Kanzel, nur unterbrochen von einer musikalischen Pause mit Tanja Vetter und Hans-Georg Gloger vom Gitarreninstitut Uslar, stellt sich Scheck erneut vor seine Zuhörer, bereit für Fragen und Diskussion. Es zeigt sich, dass der 54-Jährige nicht nur ein scharfzüngiger, politisch denkender Kritiker ist, sondern Kritik auch aushalten und begegnen kann.

Nach über zwei Stunden war Schluss. Der Literaturund Kunstkreis und seine Gäste haben einmal mehr bewiesen, dass anspruchsvolle Unterhaltung auch im Uslarer Land möglich ist.

Quelle: HNA - Sollinger Allgemeine vom 11. Februar 2019

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